Opinion,
ESG bleibt auch über 2025 hinaus – warum der Markt weiter Transparenz einfordern sollte
Auch wenn die Europäische Union zur Erleichterung vieler seit Anfang des Jahres den Fuß vom Gas nimmt: Der Markt braucht mehr Transparenz und Vergleichbarkeit in Sachen ESG. Investoren und Analysten haben viel zu gewinnen, wenn sie ESG-Daten nicht länger nur mitlaufen lassen – sondern mehr Gebrauch von ihnen machen und Defizite in Datenqualität und Regulatorik deutlich benennen. Das gilt umso mehr für die EU-Taxonomie.
Namensbeitrag von Dr. Wilhelm Mirow, Senior Consultant ESG/Sustainability,
und Jela Bölts , Consultant ESG/Sustainability, im Magazin BondGuide
Der spanische Energiedienstleister Iberdrola hat Anfang Mai seine erste grüne Anleihe nach EU Green Bond Standard herausgegeben. Mit einem Orderbuch von 3,7 Mrd. EUR war die Anleihe prompt um das Fünffache überzeichnet, der Kupon konnte auf 3,5% gedrückt werden. Gleichzeitig äußerte sich die EZB kritisch zu politischen Plänen, europäische ESG-Berichtspflichten zu lockern, und warnte vor den damit einhergehenden Risiken für Investoren. Solche Nachrichten gehen schnell unter im Strudel der Verlautbarungen um ESG-Gegenwind aus den USA und regulatorische Überforderungen. Es braucht wirkungsvolle Gegenstimmen – und hier kommt der Kapitalmarkt ins Spiel.
Dass sich etwas ändern muss, ist längst klar. Tagtäglich überweisen wir aus der EU etwa 1 Mrd. EUR für den Import fossiler Energieträger, die dann verbrannt werden. Es ist jammerschade um das Geld, zumal damit langfristig ein gigantischer ökologischer Schaden einhergeht, mit abermals erheblichen Kosten. Schon lange hat der Gesetzgeber eine andere Richtung vorgegeben – Klimaneutralität bis 2050 – und damit eine große Transformation eingeleitet.
In solchen Transformationsprozessen gibt es Unternehmen, die aufblühen, und solche, die im Zuge dessen über kurz oder lang aus dem Markt ausscheiden. Nicht umsonst erzielen, laut einer Studie von Accenture, die S&P-500-Unternehmen mit konstant hoher ESG-Performance im Schnitt 2,6-fach höhere Aktien- und 4,7-fach höhere Umsatzrenditen als die übrigen.
Damit Teilnehmer am Kapitalmarkt klar erkennen können, in welche dieser beiden Kategorien von Unternehmen sie investieren, hat die EU Instrumente geschaffen, die Transparenz und Vergleichbarkeit in Sachen ESG herstellen sollen. Diese Instrumente zu entwickeln, zu verstehen und anzuwenden, ist kompliziert und mit Aufwand verbunden.
Einladung an den Kapitalmarkt
Insofern ist es verständlich, dass die Europäische Kommission im Rahmen der sogenannten Omnibus-Initiative umfassende Änderungen an den bestehenden ESG-Regelwerken (Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) und EU-Taxonomie-Verordnung) mit dem Ziel vorgeschlagen hat, die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu stärken und bürokratische Hürden abzubauen.
Aus der Entschleunigung auf regulatorischer Ebene jedoch abzuleiten, dass ESG-Daten weniger relevant seien, wäre fatal. Nicht wenige Unternehmen verfolgen mit ihrer ESG-Berichterstattung in erster Linie das Ziel, regulatorische Pflichten mit geringstmöglichem Aufwand zu erfüllen, anstatt Investoren und andere Stakeholder mit relevanten Informationen zu versorgen. Darunter leidet die Datenqualität – zum Nachteil des Kapitalmarkts.
Der Appell an die Finanzbranche lautet daher: sowohl an Unternehmen als auch an die Politik deutlicher kommunizieren, welche Relevanz ESG-Informationen für den Kapitalmarkt haben (könnten), und welche Verbesserungen in Regulatorik und Berichterstattung gebraucht werden, damit diese Informationen besser zum Einsatz kommen. ESG-Daten liefern schließlich keine moralische Bewertung, sondern steuerungsrelevante Informationen mit finanzieller Materialität.
EU-Taxonomie im Wandel: Ein Fortschritt mit Luft nach oben
Auch die EU-Taxonomie – das zentrale Klassifikationssystem der EU, um wirtschaftliche Aktivitäten hinsichtlich ihrer ökologischen Nachhaltigkeit einheitlich zu bewerten – wurde bisher von vielen Seiten als zu komplex und zu bürokratisch abgetan. Unmotiviert und ohne einheitliches Verständnis würden viele Unternehmen entsprechend unbrauchbare Daten erheben. Auch in dieser Diskussion nimmt der Kapitalmarkt bislang eine eher passive Haltung ein.
Gerade jetzt lohnt sich ein zweiter Blick. Die EU-Taxonomie bezweckt, dass Kapitalströme auf Basis klarer, überprüfbarer Kriterien in nachhaltige Aktivitäten gelenkt werden. Diese Lenkungswirkung ist zwar noch ausbaufähig, aber jetzt schon erkennbar. Das zeigt eine aktuelle Studie der EU Platform on Sustainable Finance. Parallel hat sich laut einer Studie von PwC die ESG-Datenlage bereits spürbar verbessert – und dieser Trend setzt sich fort. Mit der CSRD geht die Prüfung der Taxonomieangaben durch einen Wirtschaftsprüfer einher. Das wird die Aussagekraft und Verlässlichkeit der Angaben nochmals steigern.
Der Befund dieser Studien ist eindeutig: Damit die Taxonomie ihr Potenzial entfalten kann, braucht es mehr Anreize für Unternehmen und regulatorische Klarheit. Hierfür sollte sich der Kapitalmarkt einsetzen – und Bürokratie und Komplexität nicht als Ausrede für Intransparenz hinnehmen.
ESG reift heran – Zeit zum Mitgestalten
Damit geht einher, sich auch als Nutzer von der Komplexität der EU-Taxonomie nicht abschrecken zu lassen. Der europäische Gesetzgeber kann sicher noch verschlanken. Ein gewisses Maß an Komplexität ist aber bei allen Rechnungslegungsstandards unvermeidbar.
Unbestritten ist, dass ESG-Ratings eine wichtige Bewertungsgrundlage darstellen. Die EU-Taxonomie bietet darüber hinaus enormes Potenzial, deren Aussagekraft anhand einheitlicher Kennzahlen zu steigern. Sie kann Klarheit über den Anteil ökologisch nachhaltiger Aktivitäten im Portfolio, über Risiken und über Zukunftsfähigkeit schaffen. Investoren sollten diese Qualität für sich nutzen und sodann insbesondere in breiten Publikumsprodukten auch zeigen, wie Taxonomiedaten zur Anwendung kommen.
Fazit
2025 ist ein Wendepunkt. Nicht, weil ESG vorbei ist – sondern weil ESG heranreift. Höchste Zeit für den Kapitalmarkt, aus der Beobachterrolle herauszutreten und die Relevanz von ESG im Alltag der Investitionsentscheidungen hervorzuheben. ESG-Berichterstattung liefert heute bereits wertvolle Hinweise. Wer sie ignoriert, investiert mit halber Information.
Dr. Wilhelm Mirow ist Senior Consultant für ESG/Sustainability bei der Kirchhoff Consult GmbH. Neben einer Promotion an der ETH Zürich verfügt er über acht Jahre Erfahrung im Bereich strategische Kommunikation für Finanz-, Technologie- und Nachhaltigkeitsthemen. Zu seinen fachlichen Schwerpunkten zählen CSRD/ESRS, IFRS/ISSB und ESG-Kommunikation.
Jela Bölts ist Consultant für ESG/Sustainability bei der Kirchhoff Consult GmbH. Neben einem Master in Sustainable Marketing & Leadership verfügt sie über zwei Jahre Erfahrung in den Bereichen CSRD/ESRS-Berichterstattung, ESG-Strategien, Wesentlichkeitsanalysen und EU-Taxonomie-Prüfungen. Zu ihren fachlichen Schwerpunkten zählen CSRD/ESRS sowie EU-Taxonomie.
ÜBER KIRCHHOFF CONSULT
Kirchhoff Consult ist mit rund 70 Mitarbeitenden eine führende Kommunikations- und Strategieberatung für Finanzkommunikation und ESG im deutschsprachigen Raum. Seit mehr als 30 Jahren berät Kirchhoff Kunden in allen Fragen der Finanz- und Unternehmenskommunikation, Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichten, beim Börsengang, im Bereich der Investor Relations sowie der ESG- und Nachhaltigkeitskommunikation. ‘Designing Sustainable Value’: Kirchhoff verbindet inhaltliche Kompetenz mit exzellentem Design und schafft damit nachhaltig Werte.
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Dr. Wilhelm Mirow
SENIOR CONSULTANT ESG/SUSTAINABILITY
wilhelm.mirow@kirchhoff.de